Oktoberfest in Blumenau – warum nicht Karneval?
Kein brasilianisches Bundesland war im 19. Jahrhundert so protestantisch geprägt wie Santa Catarina. Denn die Einwanderer kamen aus Mittel- Nord- und Ostdeutschland wo Martin Luther strenge Sitten und christliche Bescheidenheit gelehrt hatte. Besonders in der Fremde gaben diese Eigenschaften und echte Frömmigkeit –‘ein feste Burg ist unser Gott‘ – Halt im Sturm der Ereignisse.
Die meist blonden, an kühl-regnerisches Klima gewöhnten Einwanderer waren fleißig und sparsam. Man strebte nach solider Lebensgrundlage. Nach und nach erreichten die Deutschen in der neuen Heimat Wohlstand, Ansehen, arbeiteten und wirtschafteten so, dass ihre Leistung zum Vorbild wurde – ein Gewinn für die Wirtschaft in ganz Brasilien.
Früh gründeten die Siedler, wie sollte es anders sein, Schützen- und Sportvereine. Chöre, Theater- und Volkstanzgruppen entstanden schon während der Aufbaujahre und waren neben dem sonntäglichen Gottesdienst Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Ab 1857 gab es einen evangelischen Pastor in Blumenau.
Karneval, verpönt bei Protestanten, wurde nicht gefeiert. In den protestantisch geprägten ‚‘Deutschen Landen‘ (Deutschland als Ganzes gab es erst ab 1871), überließ man dies herablassend, doch hier und da ein wenig neidvoll, den Katholiken im Westen und Südwesten an Rhein, Main und Mosel, wo das Klima weniger rauh, die Trauben süß, der Wein süffig, das Leben leichter war. Die prunkvollen Gewänder der kirchlichen Würdenträger, Augenweide bei Prozessionen, die feierlichen Riten und der betörende Duft des Weihrauchs taten ihre Wirkung. Glanz und Farbenpracht von Messen und Hochämtern finden ihr weltlich-glanzvolles Gegenstück im Karneval, bei Fastnacht oder Fasching.
Karneval in Rio ist anders. Man zeigt viel nackte Haut.
Es ist ja Sommer in Brasilien. Die prunkvollen, eng anliegenden, im schmückenden Beiwerk weit ausladenden Kostüme heben Schönheit und Anmut der Brasilianerinnen betörend hervor.
Lebensfreude trotz Armut, Tanz trotz Sorgen – Karneval in Rio versteckt auch Elend und Unrecht hinter der glänzenden Kulisse von Show, Samba und Erotik.
In Blumenau aber, beim Oktoberfest, sitzen die Gäste ganz zünftig auf Holzbänken an langen Tischen, schunkeln, singen deutsche Lieder und trinken so viele Maß wie ein ‘ganzer Mann‘ vertragen kann – oder auch nicht. Der Filzhut wird oft beiseitegelegt – wegen der Hitze. Lederne Sepplhosen trägt Mann gern – auch wenn‘s darunter arg heiß werden kann. Wer eine hat, ist wer beim Oktoberfest in Blumenau!
Als er‘s noch war, zeigte sich Staatspräsident Lula mit leuchtend rotem Filzhut plus Gamsbart (extra leichte Anfertigung, wie man munkelte). Sepplhose aber trug er nicht.
Zu später Stunde in der ‘Vila Germânica’, dem riesigen Oktoberfestgelände mit großen Hallen und imitierten altdeutschen Gassen samt Fachwerkhäusern, mischt sich –kaum traut man seinen Ohren – Sambarhythmus in bayerische Blasmusik und deutsche Tänze! Es wogt der Saal! Wir sind in Brasilien und feiern das Oktoberfest auf deutsch-brasilianisch!
Warum in Blumenau? – weil die Stadt 1983 nach einem verheerenden Hochwasser so schwere Schäden erlitten hatte, dass, trotz Unterstützung aus dem In- und Ausland, das Geld zur Schadensbeseitigung nicht reichte. Seit 1984 brachte und bringt das Oktoberfest Millionen – Reais und Besucher! Mittlerweile haben einige brasilianische Städte das Fest auf der Wies‘n übernommen. Echte Konkurrenz zum Karneval in Rio? Sicher nicht, aber für Brasilianer s e h r exotisch.
Jutta Blumenau-Niesel