Dr. Hermann Blumenau

 

Wer kennt Hermann Blumenau?

 

Passantenbefragung in einer Berliner Einkaufsstraße: „Fällt Ihnen etwas zum Namen Blumenau ein?“

Ein junger Mann: „Weeß ick nich, is wohl’n Blumenladen oder ‘ne Järtnerei.“

Eine ältere Dame: „Davon hab’ ich in der Schule gehört… eine Stadt? Ich glaube, in Südamerika.“

Ein Reisebüro speziell für Brasilien: „Blumenau in Santa Catarina?  – Wir rufen Sie später an“. Der Anruf fand nie statt.

—————-

Biograf Karl Fouquet* leitete das Lebensbild des Gründers mit der Frage ein:

Dr. Blumenau ein Unbekannter? und mochte sich auf ein Ja oder Nein nicht festlegen. Zwar genießt die Stadt als Messe- Medien- und Wirtschaftszentrum hohes Ansehen, zieht zahlreiche Touristen an, die das ‘bayerische‘ Oktoberfest in Blumenau am großen Fluss Itajaí besuchen und deutsche Fachwerkhäuser bestaunen. Doch  –  wer kennt den Gründer?

1979 schrieb Fouquet … „auch verbindet fast jeder Gebildete im südlichen Brasilien und in Deutschland mit der geographischen Bezeichnung die Vorstellung eines Mannes, der von dem leidenschaftlichen Wunsch zu kolonisieren beseelt war und der sein Ziel nach Überwindung unzähliger Hemmnisse erreicht hat: aber auf diese wenigen Züge bleibt das Bild im allgemeinen beschränkt.“

*Karl Fouquet, Dr. Hermann Blumenau, Ein Bild seines Lebens 1979, S. Leopoldo, RS – Brasil

H. Blumenau im Garten

Dr. Hermann Blumenau 1819 – 1899

Als Christiane Sophie Blumenau ihrem sechsten Kind im Dezember 1819 das Leben schenkte, war sie 42 Jahre alt. Der Vater Carl Friedrich, Oberförster, in Herzoglich-Braunschweigischen Diensten, ab 1840 Forstrat, leitete die Bereiche Bergbau, Köhlerei, Forst und Hüttenwesen in Hasselfelde am Harz.

Den letzten, unerwünschten Nachkömmling Hermann missachtete er lebenslang. Die Mutter aber liebte ihr ‘Männchen’ und schützte ihn soweit möglich, vor väterlicher Angriffslust.

busch

Dieser Herr ist nicht Hermannm Blumenaus Vater. So ähnlich aber muss er auf seinen Sohn gewirkt haben. (Zeichnung: Wilhelm Busch)

Zwar durfte Hermann, nachdem er in der Bürgerschule Hasselfelde als besonders begabtes Kind aufgefallen war, das renommierte Martino-Katharineum in Braunschweig besuchen, doch musste er auf Anweisung des Vaters mit sechzehn Jahren das Gymnasium verlassen, um eine Ausbildung zum Apotheker in Blankenburg zu beginnen, die er 1840 in Erfurt mit besten Zeugnissen abschloss. Danach ging er, wie damals üblich, auf Wanderschaft durch Böhmen, Österreich, über die Alpen bis zum Großglockner. Auf dem Rückweg besuchte er Erfurt, wo er in der Trommsdorff’schen Schwanenapotheke, damals Mittelpunkt pharmazeutischer und intellektueller Avantgarde, Alexander von Humboldt begegnete.

1844 wurde Blumenau, ohne Abitur, an der Universität Erlangen zum Studium der Philosophie mit Fachrichtung Chemie zugelassen, das er 1846 mit der Promotion abschloss. Eine Fakultät für Chemie, Physik und andere Naturwissenschaften gab es noch nicht; sondern nur die Philosophische Fakultät, deshalb Dr. Phil.

Parallel zum Studium informierte sich Blumenau über das brisante Thema Auswanderung. Die Tatsache, dass pro Jahr 60 000 von 35,5 Millionen Deutschen ihre Heimat verließen, Auswanderungsverbote nicht befolgt wurden, spornte ihn an, weiter zu ermitteln, denn die Zahl der Emigranten nahm drastisch zu. Der Einsatz von Dampfmaschinen auf dem Acker hatte jene schwer getroffen, die, nach Abschaffung der Leibeigenschaft, bei ihren ehemaligen Grundherren als Landarbeiter angestellt waren. Sie wurden entlassen. Um ihre kinderreichen Familien zu ernähren, musste ein Ausweg gefunden werden. Nun wanderten Bauern in die großen Städte, arbeiteten als ungelernte, schlecht bezahlte Arbeiter in riesigen Fabrikhallen oder wanderten aus. Wegen Armut, Sorge und Elend im Harz, in Mittel- und Ostdeutschland verödeten ganze Landschaften.

Deckblatt 1846Anfang 1846, kurz nach seiner Promotion und wenige Tage vor der ersten Reise nach Brasilien, erschien Blumenaus erste schriftliche Abhandlung Deutsche Auswanderung und Kolonisation in einem Sammelband und ohne Namensangabe.

In dieser Schrift stellte Blumenau unumstößlich fest, dass Auswanderung nicht zu verhindern sei. Deshalb müsse Deutschen in der Fremde Sicherheit beim Aufbau einer neuen Existenz geboten werden, eigener Grund und Boden garantiert, Religionsfreiheit, Erhalt der deutschen Sprache und Kultur erlaubt und möglich sein.

In Qualität, Vielfalt und Ernsthaftigkeit der Argumentation, der Menge nützlicher Informationen, ragt Blumenaus Abhandlung aus der Masse verbreiteter Werbeschriften heraus, in denen Brasilien als Schlaraffenland, wo man ohne Mühe reich werden kann, beschrieben wird.

Prominente Zeitgenossen unterstützten Blumenaus Arbeit; darunter Carl Friedrich v. Martius, Professor an der Universität München, Naturwissenschaftler und Forschungsreisender in Brasilien. Er förderte und unterstützte Blumenaus Lebensplan, deutschen Auswanderern in Brasilien eine neue Heimat und Lebensgrundlage, zu schaffen, vermittelte Kontakte zu Persönlichkeiten in Brasilien, die dem hochengagierten jungen Mann auf seinem ungewöhnlichen Weg von Nutzen sein sollten. Unter ihnen stand Johann Jakob Sturz, Generalkonsul der Kaiserlich Brasilianischen Regierung für Preußen mit Sitz in London, an erster Stelle. Sturz’ eindringliche Schilderung unmenschlicher Behandlung schwarzer Sklaven in brasilianischen Goldminen berührte Blumenau so, dass er einen schicksalhaften Entschluss fasste: Meine Kolonie darf nur mit eigener Hände Kraft entstehen – ohne Sklavenarbeit! Das war ungewöhnlich und hielt viele davon ab, sich in Blumenaus Kolonie niederzulassen.

avhAuch Alexander von Humboldt schätzte Blumenaus Kenntnisse und hohes Engagement. Er nahm ihn in den Kreis förderungswürdiger junger Männer auf, schrieb Empfehlungsbriefe als ‚Entree für große Häuser’ in Brasilien und vermittelte eine Anstellung bei einer Hamburger Auswanderungsgesellschaft. In deren Auftrag nahm Blumenau im März 1846 seine erste Erkundungsreise mit dem Ziel ‘geeignetes Land für deutsche Auswanderer’ zu erkunden, auf. Diese Expedition dauerte zwei Jahre, in denen er praktische Erfahrung als Ergänzung zu seinen theoretischen Kenntnissen, gewann.

Floß

 

Am 2. September 1850 trafen die ersten siebzehn Einwanderer in der von Blumenau gewählten Region am Großen Fluss Itajaí im Südstaat Santa Catarina, ein.

Eigentlich sollten es 250 sein. Sie wurden kurz vorher – abgeworben. Dies war nur der Anfang einer Serie von Ereignissen, die Hermann Blumenau den Glauben an menschlichen Anstand fast geraubt hätten. Immer wieder aber fasste er, trotz offener Feindschaft vonseiten des Gouverneurs und seiner Verwaltungsbesamten, trotz Indianerüberfällen und Hochwasserkatastrophen, neuen Mut, wollte ‘seine Siedler’ keinesfalls im Stich lassen. 1860, nachdem ein neuer Gouverneur Blumenaus Leistung anerkannte, wurde die ‚vorbildlich geführte Kolonie’ mit 947 Einwohnern von der Brasilianischen Regierung übernommen, Blumenau zum Direktor des ‚Mustermunizips’ ernannt. Nun entstand, dank öffentlicher Förderung, eine solide Infrastruktur.

Als Blumenau 1884 nach Deutschland zurückkehrte, um mit Frau und Kindern den Lebensabend in Braunschweig zu verbringen, lebten in der einstigen Kolonie 18 000 Personen. Hermann Blumenau hatte sein Lebenswerk vollbracht. 1899 ist er im Alter von 79 Jahren ím Kreis seiner Familie sanft entschlafen.

Heute ist Blumenau mit 300 000 Einwohnern die bekannteste Stadt deutscher Herkunft in Brasilien. Wirtschaft, Industrie, moderne Technologie sind hervorragend, das Brutto-sozialprodukt liegt weit über dem Landesdurchschnitt. 2007 fanden hier die Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstage statt. In dieser Stadt leben Menschen aus aller Welt. Die Entstehungsgeschichte ist jedermann bekannt. Jedes Jahr am 2. September feiern sie den Gründungstag der einstigen Kolonie im brasilianischen Urwald: Blumenau in Santa Catarina.

Jutta Blumenau-Niesel

 

Ein Leben für Brasilien

Hermann Blumenau 1819- 1899

Landk.m. Blu fettH. Blumenau, Letztes Foto

Kein Deutscher in Brasilien hat höheres Ansehen errungen als Dr. phil. Hermann Bruno Otto Blumenau, der im Jahr 1850 ein Werk begann, dem bis heute Bewunderung, Respekt und hohe Anerkennung entgegengebracht werden.

Was trieb jene Menschen an, die beschlossen hatten, ihr Leben den unsicheren Planken eines Segelschiffes anzuvertrauen, um nach drei Monaten ein Land zu betreten, wo über Bewohner, Sitten und Gebräuche höchst widersprüchliche, abenteuerliche, auch beängstigende Nachrichten im Umlauf waren? Wo die Sonne mittags im Norden steht, der Schrei wilder Tiere den Fremdling erschreckt, Kaimane an den Ufern der Flüsse lauern, der Urwald drohend, dicht wie eine Mauer, dem Eingewanderten Furcht einflößt?

Vieles kam zusammen. Der entscheidende Grund zur Auswanderung aber war: Armut. In Deutschen Landen – Deutschland als Ganzes gab es vor 1871 noch nicht – war sie zum alles beherrschenden Notstand geworden.

Zwar war die Erfindung der Dampfmaschine ‘bahnbrechend’, doch ahnte niemand, welche Konsequenzen folgen sollten. Erst nachdem die umwälzenden Möglichkeiten erkannt und erprobt waren, setzte, nach England auch in Deutschland, jener rasante Umschwung ein, den wir heute die Industrielle Revolution nennen: Tradierte Handarbeit wurde ersetzt durch maschinelle Produktion.

Ländlichen Kleinbetrieben gingen Aufträge verloren, weil handwerkliche Arbeit, Reparatur und Neuanfertigung viel mehr Zeit beanspruchten, als industrielle Fertigung. Zunehmend mehr Bauern und deren Söhne verließen Haus und Hof, um in der Stadt als schlecht entlohnte, ungelernte Arbeitskräfte an Maschinen zu arbeiten, auf engem Raum in dunklen Mietskasernen ihr Leben zu fristen. Sie verloren nicht nur Heimat und Familie, sondern auch ihre kulturelle Identität, verkamen zu städtischem Proletariat, dessen Vertreter später in revolutionären Aufständen für bessere Lebensbedingungen kämpfen sollten. Nicht wenige dieser Armen und Unterdrückten hatten von Auswanderung gehört, wünschten sich, in einem anderen Land eine neue Existenz aufzubauen. Viele haben diesen Plan verwirklicht.

In alter Zeit, als Großmutter, Mutter und Kinder an langen Winterabenden beieinander saßen, spannen, webten, stickten und nähten, wurden Neuigkeiten ausgetauscht, Geschichten erzählt, wurde gelacht, gebetet und gesungen:

Dreh dich, dreh dich Rädchen, spinne mir ein Fädchen, viele, viele hundert Ellen lang.

Das Rad des Fortschritts aber drehte sich schneller als gedacht. Veränderung war unausweichlich.

Nachdem der große Umbruch geschehen war, brach bis dahin nicht gekanntes Elend über die Menschen herein. Auch Kinder wurden in die Stadt geschickt – zum Betteln. Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen – wer konnte Tränen zurückhalten bei dieser traurigen Geschichte!

Jetzt wurde nicht mehr gelacht, sondern gehungert, geklagt und gebetet.–

Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott, erhör mein Rufen. Vergebens.

Gott schwieg. Viele Menschen jedoch verzagten nicht, wanderten aus in dieser schweren Zeit.

Auswanderungsfieber‘ im 19. Jahrhundert hatte nicht nur die Armen gepackt, sondern auch Forscher, Wissenschaftler und Abenteurer. Sie nannten es ‘Sehnsucht nach der unbekannten Ferne’, die zweifellos auch Hermann Blumenau ergriffen hatte.

Blumenau jedoch war weder Auswanderer, noch Abenteurer. Forschungsreisender nur, um im Auftrag einer Hamburger Gesellschaft von Kaufleuten geeignetes Siedlungsland für deutsche Einwanderer in Brasilien zu erkunden.

Beim Aufbau der Kolonie standen Blumenau qualifizierte Mitarbeiter zur Seite deren Namen in Brasilien noch heute bekannt sind. Ihr Beitrag hat wesentlich zur Entwicklung beigetragen. Zu ihnen gehörten Emil Odebrecht, Hermann Wendeburg, Theodor Kleine, der Naturwissenschaftler und Darwinist Dr. Fritz Müller, dessen Werk weit über Landesgrenzen hinaus Bedeutung erlangt hat.

Blumenau in Geschichte und Gegenwart – Beispiel und Vorbild zugleich!

Gelungene ‘mistura‘ aus deutscher Tradition und brasilianischer Eigenart.

Jutta Blumenau-Niesel

 

Hermann Blumenau in Erfurt

erfurtIn der damals berühmten Schwanenapotheke in Erfurt (heute gibt es nur noch einen Teil des Gartens) tauschten Forschungsreisende und Naturwissenschaftler neueste Ergebnisse aus. Dort berichtete auch Justus von Liebig über seine Erfindung eines haltbaren Lebensmittels (Liebigs Fleischextrakt), informierte über ‘seinen‘ neuen Kunstdünger und dessen Vorteile für die Landwirtschaft. In der Schwanenapotheke berichteten Alexander von Humboldt, Carl Friedrich von Martius, Johann Baptist von Spix und andere Wissenschaftler über ihre Forschungen und Reisen in ferne Länder.

Hermann Blumenau, befreundet mit dem Sohn des alten Professor Trommsdorff, ‘Chef’ und Eigentümer der Schwanenapotheke, durfte als junger Mann an einigen dieser Veranstaltungen teilnehmen. Im Kreis der ‘erlauchten’ Wissenschaftler fiel er auf durch fundierte Kenntnisse über das damals brandaktuelle Thema Auswanderung, hatte sich zum ‘Spezialisten‘ auf diesem Gebiet entwickelt.

In Erfurt hatte Hermann Blumenau endgültig die ‘Sehnsucht nach der unbekannten Ferne’ gepackt. Dass ihm dieser Traum zur bitteren und unvorstellbar harten Realität wurde, indem er 1850 in Brasilien eine Siedlung für deutsche Auswanderer gründete – ohne Sklavenarbeit, wie Blumenau verlangte, hatte er als Zwanzigjähriger in Erfurt nicht in ahnen können.

Jutta Blumenau-Niesel