Reise nach Brasilien
Auszüge aus den Notizen eines Auswanderers nach Blumenau in Brasilien von Karl Kleine, 1856. Sohn Theo veröffentlichte die Aufzeichnungen 1997unter dem Titel: BLUMENAU EINST – Erlebnisse und Erinnerungen eines Eingewanderten (Gramado, Rio Grande do Sul)
Wir beiden Knaben und mein Vater fuhren Zwischendeck. Unsere kranke Mutter mit dem Schwesterlein waren in der Kajüte untergebracht.
Wir beiden Jungen hatten auf der ganzen Seereise nicht die Spur von Seekrankheit, dagegen aber immer einen gewaltigen Appetit.
Die Kost war sehr „seemännisch“, d.h. schwer verträglich. Zusammengekochtes bestand aus salzigen, süßen, harten, weichen und, je länger die Reise dauerte, auch verdorbenen Zutaten. Wer das vertrug, konnte auch Ziegelsteine essen, ohne krank zu werden (wahrscheinlich waren die hygienischer).
Auch war das Wasser von Anfang an in einem solchen Zustand, daß wir uns immer im stillen wunderten, warum wir immer kalten Tee mit solch einem sonderbaren Geschmack trinken mußten, und meinten in unserer Unschuld, das müsse wohl ein probates Mittel gegen die leidige Seekrankheit sein, kamen aber doch bald dahinter, was das für Medizin war.
Das Essen war wohl reichlich, aber man denke sich einmal Graupen, Reis oder Klöße mit Sirup und Pflaumen in einem Topf mit Salzfleisch gekocht! Brr! Doch der Mensch gewöhnt sich ja schließlich an alles; warum nicht auch an gesalzenen Sirup?
Ja, wenn’s Erbsen, Linsen oder Labskaus gab, das war ein ander Ding! Wahre Festtage aber waren, für uns Jungen wenigstens, die sogenannten Puddingtage.
Sein Rezept zur Bereitung des kostbaren Puddings hatten wir ihm (dem Koch) bald abgelauscht. Er nahm Mehl, schüttete etwas Salz, Zucker und Sirup hinein, und, wenn er gut gelaunt war.
Da wurde denn das Möglichste geleistet im Puddingvertilgen. Auch im Vertilgen der Kekse stellten wir unseren Mann, dagegen wurde der arme Hering mit Verachtung gestraft. Morgens und nach dem Mittagessen gab’s Kaffee und Keks, abends Tee mit Keks und – wer es verlangte – Überbleibsel vom Mittagessen. Viele hoben sich selber etwas vom Mittagessen zum Abend auf.
Unser Koch, der seine Sache äußerst praktisch betrieb, schüttete an jedem Montag gleich den Kaffe für die ganze Woche in einen großen wollenen Beutel, der früher einmal seine Zipfelmütze gewesen sein mußte, denn es hing noch eine Quaste daran, deren einstige Farbe man freilich nicht mehr erkennen konnte. Jeden Tag nun wurde das nötige Quantum kochenden Wassers darauf gegossen. Auf diese Weise schuf er seinen Kostgängern einen untrüglichen Wochenkalender. Am Montag gab’s giftstarken Kaffee, dienstags etwas schwächer und so fort, bis wieder Montag war. Der Sonntagskaffee hieß nicht anders als Zipfelwasser. Genau ebenso verfuhr er mit dem Teeaufguß.“
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Im Zwischendeck befanden sich lauter unbemittelte Leute, die aber gewohnt waren, ihr Brot mit ihrer Hände Arbeit zu verdienen, ein Umstand, der gerade damals für Blumenau von großer Wichtigkeit war (Karl Kleine 1856).